Nooanalytische Perspektive

W. A. Siebel, Begründer der Nooanalyse, geht davon aus, dass die Gesamtheit der unterbewussten, vom Frontalocortex gesteuerten Aktivität des Menschen das Ziel hat, Änderungen der Selbstvorstellung zu vermeiden und Bisjetziges zu erhalten. Er geht davon aus, dass, wenn es dem Menschen versagt sei, sein unterbewusstes Lebenskonzept (seinen Lebensstil) zu befriedigen, dies zu Spannung und Frustration führe, während bei Bedürfnisbefriedigung eine (thalamische) Zufriedenheit erlebt werde. Er spricht vom „Überlebensprinzip“ und davon, dass Menschen in ihrem Verhalten durch ihre Sozialisation (besonders durch die Erziehung im Elternhaus) darauf ausgerichtet seien, den Lebensstil bestätigende Erfahrungen zu suchen und ihn gefährdenden auszuweichen.

Er entwickelte ein Persönlichkeits- und Entwicklungsmodell, mit denen er auch Störungen im menschlichen Verhalten erklärt. Insbesondere gehören dazu seine Traumatologie und die Veranschaulichung mit Hilfe der Lebensstilbild-Theorie, die durch neueste entwicklungspsychologische Erkenntnisse bestätigt werden.

Nooanalyse ist das Wort der Beschreibung des Sachverhaltes, dass das Unterbewusste des Geistes (griechisch: nous, davon abgeleitet "noo-"), das auf unser Verhalten einwirkt, „erforscht“ (analysiert) werden kann. Diese Sicht folgt dem immer größer werdenden Interesse an unseren gehirnphysiologischen Gegebenheiten und dem Wissen um die Beziehung geistiger (noogener) Tätigkeiten zu unseren Verhaltensweisen.

Die Nooanalyse ist grundsätzlich erst einmal nur eine Möglichkeit, im Bereich der Musiktherapie zu Lösungen von Konflikten in der Gegenwart Hilfestellungen zu bieten, um sozial verträgliche Lösungen zu finden. Musiktherapie ist angewiesen auf die Mitarbeit und das Mitdenken und auf die Bereitschaft, das erkannte Problem lösen zu wollen. Deshalb kann sie niemals eine heilkundliche Therapie ersetzen.

Die nooanalytische Arbeit deutet die Konkretionen von Intentionen und öffnet die Einsicht in Fähigkeiten, um dadurch heranzuführen an Instrumente.

Die Methode “learning by doing” zielt auf “Loslegen”, Fähigkeiten entdecken und diese zu Fertigkeiten weiterentwickeln, damit eine Entscheidung zu einem Instrument möglich wird. Dabei können Vorlieben beachtet werden.

Texte zur Entwicklungspsychologie, aufgrund neuester Forschungsergebnisse (erschienen in: „Gemeinschaft und Menschenrecht“, W.A. Siebel 1995, S. 287 ff )

„Freuds Auffassung, dass das Spannungs-Abfuhr-Prinzip, das Lust-Unlust-Prinzip, das fundierende Moment der frühen Entwicklungsvorgänge darstellt, ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Entwicklungspsychologen betonen heute, dass das Neugeborene mit einer fundamentalen Aktivität ausgestattet ist, die in sich die Tendenz hat, den Organismus zu wachsender psychologischer Komplexität anzuregen. Dafür kommt der Neuankömmling mit einem beträchtlichen Repertoire von Verhaltensmöglichkeiten zur Welt, die von der Evolution bereitgestellt wurden, und die ihn für interaktive Beziehungen mit der pflegenden Umwelt bereit machen. Statt die Entwicklung unter dem Aspekt des Entropie-Modells zu sehen, wie es das Trieb-Abfuhr-Modell tat, arbeitet die heutige Entwicklungsbiologie mit der Vorstellung, dass die schon neurophysiologisch gesicherte Komplexität, bei einer Zahl von 10 Milliarden Neuronen mit hunderten von Querverbindungen, für Unbestimmtheit, Ungewissheit und beschränkte Vorhersagbarkeit von Verhaltensweisen sorgt. Ein solcher Grad von Komplexität bürgt für Individualität und sichert zugleich Selbstbestimmung. Komplexität wächst im Laufe der Entwicklung, und dem Menschenwesen wird zugesprochen, dass es sich selbst in die es umgebende unbelebte und belebte Welt hinein sozialisiert... Eine gleiche Zurückweisung kann jenen Vorstellungen entgegengebracht werden, die das Kleinkind als Wesen betrachten, das als psychologisches Nichts auf die Welt kommt und durch die elterlichen Sozialisationspraktiken erst geformt wird. Vielmehr erkennen wir, dass das Verhalten eines Babys von Anfang an Ordnung und Organisation zeigt und dass das brodelnde Durcheinander... ein Ausfluss unseres eigenen Denkens und unserer Aufzeichnungstechniken war, aber nicht im Kleinkinde selbst zu suchen ist. (Schaffer 1982, S.50) Die Entdeckung dieser Komplexität verdanken wir der detaillierten Untersuchung einzelner Verhaltensbereiche, die jeder für sich je eigene Komplexität aufweisen“ (Horst Kächele „Entwicklung und Beziehung in neuem Lichte“ in: „Praxis der Psychotherapie und Psychosomatik“, Bd.34, Heft 5, September 1989, S. 243).

„Das Neugeborene beginnt sein Leben nicht ... als passives Bündel von Reflexen, sondern ist bereits auf spezifische Weise fähig, seine Umwelt differenziert wahrzunehmen und seine Erfahrungen zu einfachen Vorstellungen zu integrieren“ (Mechthild Papusek "„Frühe Phasen der Eltern-Kind-Beziehungen“ in: „Praxis der Psychotherapie und Psychosomatik, Bd. 34, Heft 3, Mai 1989).

Bedeutung der Musik im nooanalytischen Zusammenhang:

Nooanalyse bezieht sich auf Einzelne und ggf. auch auf Einzelne in einer Gruppe: Kenntnisse über Lebensstil-Eigentümlichkeiten und Erarbeitung möglicher Änderungen, ggf. auch in einer Gruppe als Erfahrung mit anderen.

Musik bietet auch für die Einzelarbeit Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln, wie mit einem oder unterschiedlichen Instrumenten umgegangen wird. Das betrifft vor allem die Bereiche Selbstwertempfinden, Selbstvorstellung, Ich-Aktivitäten, Positionen zu äußern und eigene Möglichkeiten einschätzen zu lernen.

In einer nooanalytischen Gruppenarbeit kann durch gemeinsames Musizieren der eigene Umgang mit anderen erkannt werden. Das betrifft vor allem die Bereiche Teamfähigkeit, Kooperationsmöglichkeiten, Respekt, Toleranz und Gemeinschaftsempfinden.