autoagressiv
2.4 Autoaggressive Aufmerksamkeitssuche
Bei autoaggressiven Verhaltensweisen geht es immer um verdeckte Aggressionen, wenn gelernt wurde, dass offene Aggressionen zwecklos sind (Resignation). Auch hierbei handelt es sich um eine getarnte “Selbstablehnung“, die jedoch nicht nach draußen zur Schau gestellt wird, sondern sich im Menschen als Gewaltmittel sich selbst gegenüber darstellt (Selbstbestrafung).
Jede Form von Aggression ist ein Kontroll- oder Machtmittel, um sich oder andere den eigenen Vorstellungen zu unterwerfen. Wenn ein Mensch erfahren hat, dass er abgelehnt wird, obwohl dies nicht offen ausgesprochen wird, wird er nach Gründen in sich selbst suchen und sie auch finden: “Ich bin selbst Schuld, dass XY nicht mit mir reden, weil ich so blöd, so hässlich bin“... usw. Diese Menschen haben schon früh erfahren, dass mit ihren Gefühlen gespielt wird und sie oft genug hilflos, ohnmächtig oder verwirrt nach Orientierung gesucht haben. Sie haben durch ihre Eltern unausgesprochene, willkürliche Ablehnung oder plötzliche ebenfalls unverständliche Zuwendung erfahren (zum Ausgleich des schlechten Gewissens der Eltern), ohne einen Bezug zum Verhalten der Eltern entdecken zu können. Das “so tun als ob“ der Eltern fördert die Vorstellung des Kindes von sich, “eigentlich uninteressant“ zu sein und, egal was es tut, keinen Einfluss auf die willkürlichen Einstellungen der Eltern ihm gegenüber zu haben. Dieser Mensch kennt keine Gemeinschaft, kann weder Selbstvertrauen noch Selbstbewusstsein entwickeln und richtet seine Wut gegen sich selbst und seine Unzulänglichkeit, was zu Selbstverletzungen und verdeckter Zerstörungswut führt, um darüber Macht und Aufmerksamkeit zu erhalten. Er hat in der Regel die Hoffnung auf verlässliche Beziehungen aufgegeben und bestätigt sich dies durch sein Verhalten. Da diesem Menschen als Kind Gemeinschaft mit den Eltern versagt geblieben ist, versucht er Wege zu finden, Gemeinschaft auch außerhalb der Familie anzugreifen, aber so, dass es nicht auffällt. Er verwendet unterbewusst die Methoden der Eltern, um deren Verhalten nicht enttarnen zu müssen. Dabei muss er sich schlimmer verhalten als Vater und Mutter, damit diese immer Recht behalten in ihrem Umgang mit dem Klientel und die Schuldfrage geklärt bleibt (nämlich beim Klientel).
Im Musizierverhalten sind verdeckte Aggressionen beobachtbar, die im scheinbar unbeabsichtigtem Zerstören von Instrumenten, provokativen oder sadistischen Verhaltensformen auftreten. Gegenstände, die mit den entsprechenden Bezugspersonen in Verbindung gebracht werden können (z. B. Geschenke), werden unachtsam behandelt oder kaputt gemacht. Dabei ist auffallend, dass diese Zerstörungsimpulse meist nicht von Bedauern oder Schuldgefühlen begleitet sind, sondern eher eine “klammheimliche“ Freude über die angerichtete Zerstörung zu bemerken ist. So ganz nebenbei wird etwas umgestoßen oder jemand aus Versehen angerempelt usw. Angenehme Situationen können nicht ausgehalten werden und werden durch Desinteresse, Rückzug, gezielte Bemerkungen boykottiert. Beherrschend ist die Sorge: “Ihr mögt mich ja sowieso nicht..., ist mir doch egal, wenn es kaputt ist..., das kann ich sowieso nicht...“ usw. Autoaggressive Verhaltensweisen können Ursachen für Körpersymptome (Verstopfung, Bauch- oder Kopfschmerzen, Atemprobleme, Erbrechen usw.) oder auch in einer erhöhten Selbstverletzungsgefahr beobachtbar sein.
Auch diese Menschen brauchen beim Musizieren klare Regeln, Grenzen und Konsequenzen und die Möglichkeit zur Reflexion der Wirkung ihrer Verhaltensmuster auf sie selbst, wie auch auf andere. Sie müssen lernen, dass ihr Verhalten abgelehnt wird, nicht jedoch sie als Mensch. Das setzt die Fähigkeit zur wertfreien Beschreibung von Verhalten voraus und, dass Kritik am Verhalten kein “Urteil“, sondern Interesse am anderen mitteilt. Z. B.: “Wenn du so mit den Instrumenten umgehst, nimmst du dir selbst die Freude daran..., Du bist herzlich willkommen zum Musizieren und du darfst auch Fehler machen..., ich möchte nicht, dass du dir weh tust und freue mich, wenn es dir gut geht...“ usw.
Diese Menschen müssen in einem geschützten Rahmen darüber informiert werden, dass ihre Verhaltensweisen verstanden werden als Versuch, Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erhalten, aufgrund der Sorge, sonst vielleicht gar nicht wahrgenommen zu werden. Sie brauchen die Rückmeldung, was ihr Verhalten in uns auslöst an Hilflosigkeit, Ärger und gleichzeitigem Wunsch, dem Menschen helfen zu wollen. Sie brauchen auch die Information, dass sie sich mit ihrem Verhalten selbst bestrafen für etwas, wofür sie nichts können und woran sie nicht Schuld sind. Das Klientel muss in Lösungsvorschläge einbezogen werden, wie es auf andere Weise möglich ist, schmerzfreie Aufmerksamkeit zu erhalten und sich in der Gemeinschaft aufgenommen empfinden zu dürfen. Das Klientel soll selbst vorschlagen, was es braucht, um zu merken, dass es gerne gemocht und akzeptiert wird. Dies kann dann auch in der Gruppe besprochen werden, so dass alle über die bisher unglücklichen Versuche des Klientels, Zuwendung zu erhalten, informiert sind und bereit sind, das Klientel auf angemessene Weise zu integrieren.