Vatergott
Es wird von Paulus behauptet, dass Jesus Sohn Gottes sei. Diese Behauptung steht im Neuen Testament auf zwei Beinen: 1. Die Geburtslegenden (Matthäus und Lukas). 2. Adoptionsformeln. Bei der Taufe Jesu durch Johannes öffnet sich der Himmel, und Gott spricht: “das ist mein Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe”. Das gleiche Geschehen ereignet sich auf dem Berg der Verklärung. Dort ertönt die gleiche Formel.
Obwohl bei Matthäus und Lukas die Zeugungsgeschichte steht, muss ein Sohn von seinem Vater anerkannt sein (nach 30 Jahren geschieht diese Himmelsöffnung, vor der sogenannten öffentlichen Wirksamkeit Jesu - die Zeit davor bleibt im Dunkel). Bis dahin hatte Jesus noch keine Familie gegründet, und er bekam jetzt vom Vater das vorbestimmte Leben erlaubt und zwar so, wie ein Vater sich das vorstellt (Abbildung unserer kulturellen Realität). Doch: im Garten Gethsemane sagte Jesus angeblich: “Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst” (Matth. 26,39). Er bietet dem Vater die Unterwerfung unter den göttlichen Willen an. Ab jetzt ist Jesus Gottes “echter” Sohn, da er den Willen des Vaters trotz schwerwiegender Bedenken befolgt. Dadurch nun, dass dies geschieht, wird dieser Gott erst zum Vater, da er jetzt erst den Sohn hat, den er sich gewünscht hat. Der Sohn adoptiert also den Vater, nicht umgekehrt!
Daraus folgt: Der Vater ist nur solange Vater, wie der Sohn das will, solange er sich dem Recht des Vaters unterstellt (Monarchie). Was heißt das in diesem konkreten Fall? Den Tod. Jesus begeht, formal betrachtet, im Auftrag des Vaters Selbstmord für einen guten Zweck. Worin besteht seine Belohnung? Im Titel “Herr” (“Herr Jesus”). Herr heißt griechisch Kyrios, hebräisch: adonaj. Adonaj ist die Umschreibung für den Gottesnamen. Kyrios ist auch der Kaisertitel. Kyrios als Rechtstitel spricht dem, der den Titel trägt, die sachliche Autorität zu. “Herr” ist also eigentlich der Titel für Gott.
Der Titel “Herr” wird in unseren Kulturkreisen einem Mann zugebilligt, der über ein gewisses Alter hinaus ist. Frauen heißen z.T. immer noch “Fräulein”, solange sie nicht verheiratet sind. D.h. die Bezeichnung “Fräulein” sieht eben in der Tochter die Frau und entschärft dies über die Verniedlichung.
“Herr Jesus” ist die Belohnung, die der erfolgreichen Sohnschaft zukommt. Zur Aussicht gestellt wird Jesus die Stellvertretung des Vaters am Jüngsten Gericht - also die Übertragung weitestgehender Befugnisse, an die sich der Vater zu halten gedenkt. Damit werden die beiden zwar innigst verbunden, doch die Hierarchie bleibt erhalten. Diese Konstruktion kann nur aus der menschlichen Erfahrung (aus dem Kopf kommen): Ein Sohn adoptiert seinen Vater in der Verwundungserfahrung aus Überlebensgründen, und dieser Adoptionsvertrag gilt. Die Nähe zum Vater ist für den Sohn immer größer, als die Nähe zur Partnerin, und die Partnerschaft hat wieder Vorrang vor der Elternschaft (“In den Familien hat daher die Paarbeziehung Vorrang vor der Elternschaft ...” Bert Helliger: “Zur Phänomenologie des Gewissens” in “Implizite Axiome. Tiefenstrukturen des Denkens und Handelns”, hrsg. v. Wolfgang Huber, Ernst Petzold und Theo Sundermeier, 1990, S.116). Selbst wenn ein Sohn sich mit seinem Vater zerstreitet, braucht er den Vater, um (erst) aus dem Streit Konsequenzen zu ziehen.