Opfer

Ein Opfer bringen - das klingt “gut”, wenn wer einem hilft, der nichts hat, um sich selbst helfen zu können. Das klingt furchtbar, wenn wer sich selbst opfern soll um irgendeines Zieles willen (z. B. im Krieg).

Ein Opfer bringen bedeutet jedoch stets, etwas von sich herzugeben, aufzugeben, eine Meinung zu ändern oder einen Wunsch aufzugeben, wenn damit Harmonie gewonnen werden soll.

Ein Opfer bringen heißt immer: etwas nicht dürfen, worauf wir jedoch Anspruch haben. Wer aus Überfluss gibt, opfert nichts, der verschenkt was. Wer einen Wunsch opfert, den er gar nicht hat, opfert auch nicht wirklich.

Wer darf diese Opfer verlangen? Es sind “große Männer”, Staatsführer, “Väter des Volkes”, oder die, auf die sie diese Aufgabe übertragen. So können dann auch “große Frauen”, Staatsführerinnen, “Mütter” jeder Art Opfer verlangen. Ursprünglich geht diese Gewalt von den Eltern aus (Erziehungsgewalt), staatlich dann von Fürsten oder ähnlichen Leuten, in einer Demokratie jedoch vom Volke (parlamentarische Gewalt). Bei einigen Religionen dürfen auch Ersatzväter Gewalt ausüben und Opfer verlangen (Papst kommt von lateinisch “papa”, Vater heißt lateinisch “pater”, Abt kommt vom hebräischen Wort für Vater “abba” usw.), ebenso wie Ersatzmütter (“Mutter Oberin” z. B.).

Wer Opfer verlangt, denkt meist, dass er oder sie selbst Opfer sei (Opfer der Umstände, Opfer eines Gegners oder Feindes, Opfer des Lehrplans oder eines Wirtschaftsplanes usw.), auch wenn sie in Wirklichkeit Täter bzw. Täterin sind. Sie bilden sich ein, Opfer zu sein und tun so, als wären ihre Opfer nun die Täter bzw. Täterinnen.

Auch in Freundschaften oder sonstigen Beziehungen kann dieser Opferwahn, dieser spezielle Gral, auftauchen: “Tu dies oder jenes doch mir zuliebe”, “Du kannst mir doch mal diesen Gefallen tun”, “Du kannst doch auch mal nachgeben”, “Ich finde dich so toll, du kannst mir bestimmt helfen”, “Sei doch großzügig” usw.