hirnorgansich

2.2 als Folge hirnorganischer Beeinträchtigungen

Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, die an den Folgen einer MCD (minimale cerebrale Dysfunktion), AD(H)S (Aufmerksamkeits-Defizit-Störung), Hyperaktivität oder anderen kognitiven, motorischen und/oder sprachlichen Beeinträchtigungen leiden, neigen zu Aggressionen, die als getarnte Wut (Mut, der nicht weiß wohin) über die eigenen “Unzulänglichkeiten“ zum Ausdruck kommen können und sich dann gegen Gemeinschaft und sich selbst richten.

Gerade bei hirnorganisch noogenen Störungen (siehe das Thema HONS in Siebel/Winkler “Noosomatik” Bd. V) ist von einer mangelnden Körperwahrnehmung, geringer Tiefensensibilität (z. B. De- oder Hypersensibilisierung der Haut, mangelndem Schmerzempfinden usw.), Störungen des Gleichgewichtsempfindens, Fehleinschätzungen bei der Kraftdosierung, Grob- und Feinmotorik, und von Defiziten in der Sprachentwicklung (siehe OuW-2) auszugehen. Diese Menschen sind nicht in der Lage, eine angemessene Beziehung zu ihrem Körper aufzubauen, sich selbst zu spüren, und können sich nur über die Außenwahrnehmungen mit Hilfe der Augen, Ohren und Haut orientieren. Das bedingt eine permanente Wachsamkeit, körperliche und geistige Unruhe, die sich als innerer Druck bemerkbar macht, da sie die Unstimmigkeit in sich wahrnehmen, nämlich, dass ihnen irgend etwas fehlt, um die Wirklichkeit ihrer Wahrnehmung bestätigt zu finden. Die nach außen sichtbare Hyperaktivität, “Tollpatschigkeit“, Anecken, ist also ein Effekt der inneren Verkrampfung und des Abarbeitens dieser Anspannung durch Bewegung. Wird der Druck zu stark, kann es zu sogenannten, unkontrollierten Wutausbrüchen kommen, die dann wieder, zumindest kurzfristig, zur Ruhe kommen lassen (hormoneller Ausgleich der angestauten Stresshormone). Diese Ausbrüche können von außen gezielt in Gang gesetzt werden, quasi wie das “Drücken auf einen unsichtbaren Schalter“ (siehe “Gehirnphysiologischer Schalter” [GPS]), der dann das “Fass“ zum Überlaufen bringt. Diese vom Kind nicht kontrollierbaren Ausbrüche führen natürlich in eine Außenseiterrolle, da sie ja immer diejenigen sind, die dann etwas kaputtmachen oder andere schlagen, anbrüllen usw., ohne dass sie das eigentlich wirklich wollen. Die Schuldzuweisungen von außen fixieren die Vorstellung von sich, “eigentlich böse, schlimm, unberechenbar und gefährlich“ zu sein und insofern kommen Mechanismen in Gang, Gemeinschaft abzulehnen und auch zu bekämpfen, da ja doch nur wieder heraus kommen könnte, dass man abgelehnt und nicht gewollt ist. D. h. diese Menschen sind permanent mit Misserfolgserlebnissen aufgrund ihrer “Beziehungslosigkeit“, Schuldzuweisungen und Ausgrenzungen aus der Gemeinschaft konfrontiert und befinden sich in der scheinbar ausweglosen Situation, sich selbst eben auch nicht zu verstehen: “Jetzt bin ich wieder lieb... ich tu`s auch nie wieder... das wollte ich doch gar nicht... ich verspreche dir`s, ich mach so was Schlimmes nie wieder...“ usw. und dann passiert`s doch wieder.

Diese Menschen brauchen Informationen über die Ursachen ihrer Probleme, dass sie daran nicht schuld sind. Auch die unmittelbare Umgebung muss darüber informiert werden, wie es zu diesen Aggressionsausbrüchen kommt, damit darauf geachtet werden kann, wer und wie das ausgelöst wird/hat. Diese Menschen brauchen die Erfahrung beim Musizieren von verlässlichen Regeln, Grenzen, Konsequenzen und die Möglichkeit, über den Erfolg beim Musizieren eine Beziehung zu sich selbst aufzubauen, zu den eigenen Fähigkeiten und dem Empfinden, “völlig richtig“ zu sein. Eigenarten müssen/dürfen aufgegriffen werden, wie z. B. die Neigung, andere beim Musizieren (gewalt-) tätig zu behindern. Diese Demonstrationen signalisieren in der Regel die Erfahrung von innerem Druck, plötzlichen Wutausbrüchen und Grenzenlosigkeit. Über den Transfer dieser Situationen auf die Empfindungen oder Erlebnisse im Alltag dieses Menschens erhält dieser eine Konkretion für sein Verhalten und kann beim Musizieren lernen, wie er anders mit seinen Energien umgehen oder Katastrophen ausweichen kann. Die dabei entstehende Ruhe und Entspannung hat dann weitreichende Folgen für die Selbstvorstellung, nämlich doch etwas zu können und Entspannung nicht mehr als Bedrohung wahrzunehmen.

Siehe auch AD(H)S